„Das ist der Kongo!“
Dienstag, 16. Juli 2019, Usinger Neue Presse / Lokales
Wehrheim/Lubumbashi Menschen versuchen trotz Korruption und anderer Missstände heiter zu bleiben – Delegation der Kirchengemeinde wieder zu Hause
In der Demokratischen Republik Kongo gibt es noch viel zu tun, bis aus einem Unrechtsregime eine wirkliche Demokratie wird. Den Partnern in Lubumbashi hat nicht nur der neue Präsident, sondern auch unser Besuch neue Hoffnung gegeben. Ein Wiedersehen im Kongo oder in Wehrheim ist nicht ausgeschlossen.
VON GERRIT MAI
Für Fotos mit den Freunden sind die Kongolesen immer zu haben, und so viel es der Gruppe auch gar nicht schwer, sich mit den Besuchern aus Wehrheim für eine Aufnahme aufzustellen
Schläft der Gott des Kongo etwa? Oder hat er das riesige Land gar verlassen? Das fragen sich unsere Partner der Kirche Ceba in Lubumbashi angesichts der Misere, in der sie Tag für Tag leben, immer wieder. Dennoch geben sie nicht auf und glauben so fest an ihn, wie wir es uns kaum vorstellen können. „Dieser Glaube gibt uns Kraft“, sagt Baudouin Lwinda, der Geschäftsführer unserer Partnerschaft, der in Lubumbashi die Spenden aus Wehrheim zuverlässig verwaltet und weiter gibt. „Aber er hat viel Arbeit.“ Und er tue heute noch Wunder. Zwar nicht, indem er 5000 Menschen mit zwei Fischen und fünf Broten speise, sondern indem er das schmale Einkommen etwa eines Lehrers von 65 Dollar im Monat – wenn er es denn überhaupt bekomme – quasi verdoppele. Nicht im realen Sinn, sondern indem er den Menschen die Kreativität gebe, mit dem Geld über die Runden zu kommen. „Eigentlich kann man davon nicht leben, aber wir tun es.“
Auch junge Frauen haben es schwer: Viele heiraten viel zu früh oder müssen ihre Schulausbildung abbrechen.
Solche Märkte sind die Haupteinnahmequellen von Frauen, aber die Konkurrenz ist groß.
Fotos: Gerrit Mai
Hoffen auf Veränderung
Seit der Wahl des neuen Präsidenten Felix Tshisekedi, haben die Menschen bezüglich der Entwicklung des Landes Hoffnung geschöpft. Es gibt viel zu tun: Menschenrechte müssen geachtet, Korruption unterbunden und Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit Kinder, die eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, auch Arbeit bekommen.
In der Demokratischen Republik Kongo ticken die Uhren noch anders. Da kommt es vor, dass jemand ein Grundstück kauft, bezahlt, aber der bisherige Eigentümer den Verkauf bestreitet und ein Papier vorlegt, wonach der Verkauf nie stattgefunden hat. Korruption macht’s möglich. Das ist für Menschen, die kaum das Geld zum Überleben haben, schwer zu verkraften. Aber, das ist der Kongo: „C’est le Congo“. Das ist der Satz, den wir in solchen Fällen zu hören bekommen. Anders könnte die Bevölkerung die Ungerechtigkeiten wohl nicht aushalten.
Klar ist, dass es in einem Land, das sieben Mal größer ist als die Bundesrepublik, das rund 80 Millionen Einwohner in 26 Provinzen hat, vom Präsidenten von der Landeshauptstadt Kinshasa aus strikt zentralistisch regiert wird, der Aufbau demokratischer Strukturen umso schwieriger ist. Fernverbindungen, sei es durch Straßen oder Bahn, sind kaum vorhanden. Geld wäre genug da, wenn die Erlöse aus den Bodenschätzen wie Kobalt, Coltan, Kupfer, Diamanten oder Gold nicht in dunkle Kanäle fließen, sondern dem Aufbau dienen. Wie groß die Rolle Chinas dabei ist, erkennen wir daran, dass Toiletten oft in chinesischer Sprache beschriftet sind und sogar das Klopapier aus der Volksrepublik stammt. Wir haben es jedoch als positiv empfunden, dass der Unabhängigkeitstag, der am 30. Juni an die Befreiung von den Belgiern als Kolonialherren im Jahr 1960 erinnert, zum ersten Mal nicht mit Militärparaden, sondern wie der Präsident es wünschte, „meditativ“ – von unseren Partnern mit einem bewegenden Gottesdienst – begangen wurde.
Aufopfernd gastfreundlich
Überhaupt gab es viele bewegende, bedrückende Erfahrungen und Begegnungen, aber auch zuversichtliche und fröhliche, welche die Gastfreundschaft und die Hoffnung unserer Partner ausdrücken. Erschreckend war es für uns zu sehen, wie vor allem die Frauen, aber auch schon die Mädchen, müde in sich zusammensanken, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Nach 14 Stunden Flug und Aufenthalt in Adis Abeba waren wir dann zurück in unserer vor allem finanziell relativ abgesicherten Welt, in der Autos an Ampeln halten und wer arbeitslos oder arm ist, Unterstützung erhält, auch wenn das vielen zu wenig erscheint. Verglichen mit dem Kongo leben wir in einem luxuriösen Jammertal. Aber auch, dass die Besuche den Partnern Hoffnung geben, uns auf den Boden der Tatsachen zurückholen, und wir unseren Lebensstandard auch nicht uns allein zu verdanken haben.
Solidaritätskonto und Patenschaften
Bei unserem Besuch haben uns viele Hilferufe erreicht. Wir können nur wenige berücksichtigen, haben mit dem Geld, das uns Wehrheimer mitgegeben hatten, Lehrern, Pfarrern und Frauen spontan geholfen, uns aber auch nach langfristigen Projekten umgesehen. Das Solidaritätskonto der Frauen, in das jede monatlich einen kleinen Beitrag leistet, hat uns stark beeindruckt. Gerät eine Frau in Not oder möchte sich zur Existenzsicherung ein kleines Geschäft aufbauen, bekommt sie einen Kredit, den sie mit Zinsen zurückzahlt. Das Geld aufzustocken, erscheint sinnvoll, allerdings nur, wenn die Frauen darüber selbst entscheiden können. Die Unterstützung von Schülern – insbesondere von benachteiligten Mädchen und Waisen – durch Patenschaften, könnte ein weiteres Projekt sein. Da die Bezahlung der Lehrer davon abhängt was eingeht, verbesserte sich ihr Gehalt und die Ausstattung der Schulen ebenfalls. Entschieden wird das jetzt im zuständigen Ausschuss der evangelischen Kirchengemeinde. mai